Aktuelle UrteileVerkehrsrecht
Schadensersatzrecht, Verkehrsrecht, Straßenverkehrsrecht
[04.09.2024] Zur Beweislast bei Unfall nach Spurwechsel
Vorliegen eines untypischen Unfallhergangs nicht bewiesen
Wer die Spur wechselt und mit einem anderen Fahrzeug kollidiert, gilt regelmäßig als Unfallverursacher – und muss den Schaden ersetzen. Es sei denn, ihm gelingt der Beweis eines anderen Unfallhergangs.
Ein Mann fährt mit einer Limousine in Lübeck auf der rechten Fahrbahn einer zweispurigen Straße. Das Auto gehört seiner Bekannten. Auf der linken Spur fährt ein Kompaktvan. Der Fahrer des Vans wechselt von der linken auf die rechte Spur – es kommt zum Unfall. Die Eigentümerin der Limousine verlangt Ersatz der Reparaturkosten. Der Fahrer des Vans sei zu schnell gefahren und plötzlich nach rechts ausgeschert, dabei habe er nicht geblinkt. Dieser wendet ein, er habe an einer Ampel gestanden und sei – nach Schulterblick – bei grün losgefahren. Plötzlich sei die Limousine mit hoher Geschwindigkeit angefahren gekommen und habe sein Auto gestreift.
Die Rechtslage
In § 7 Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) steht: In allen Fällen darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Jeder Fahrstreifenwechsel ist rechtzeitig und deutlich anzukündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.
Einen Fahrstreifen darf also nur wechseln, wer sich zuvor vergewissert hat, dass dieser Fahrstreifen frei ist. Häufig passieren Unfälle im Zusammenhang mit einem Spurwechsel nach einem typischen Muster. Deshalb haben Gerichte den sogenannten „Anscheinsbeweis" entwickelt. Bei einem solchen typischen Unfallverlauf ist bei lebensnaher Betrachtungsweise davon auszugehen, dass die spurwechselnde Person den Unfall verursacht hat. Um doch nicht zu haften, müsste die spurwechselnde Person die Annahme dann widerlegen.
Anscheinsbeweis zu Lasten des Spurwechsler
Das Gericht gab der Eigentümerin der Limousine recht. Der Fahrer des Vans habe einen typischen Spurwechsel vollzogen. Lebensnah sei daher davon auszugehen, dass er den Unfall verursacht habe. Vom Gegenteil habe sich das Gericht nicht überzeugen können. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass die Limousine mit überhöhter Geschwindigkeit geführt worden war. Und ein hinzugezogener Sachverständiger habe festgestellt, dass die Limousine im Rückspiegel des Vans zu sehen gewesen sein muss. Der Van-Fahrer habe also entweder den Rückspiegel falsch eingestellt oder gar nicht erst hineingeschaut. Das Urteil ist rechtskräftig.
LG Lübeck, Urteil vom 15.11.2023 - 10 O 171/22 -
Quelle: Landgericht Lübeck, ra-online (pm/ab)
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