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[03.11.2022] Herausgabe von Unterlagen zu Geschwindigkeitsmessgeräten nur bei Relevanz für die Verteidigung
Beschwerdeführer trotzdem zum zweiten Mal erfolgreich
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, der eine Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes zugrunde lag.
Der Beschwerdeführer war Betroffener in einem Bußgeldverfahren, in dem ihm ein
Anspruch auf Einsicht nur bei erkennbarer Relevanz für die Verteidigung
Auch diese Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg. Allerdings verstoße das Urteil des Amtsgerichts Wittlich nicht schon deshalb gegen das Recht auf ein faires Verfahren (Art. 77 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -), weil dem Beschwerdeführer keine Einsichtnahme in die Case-List bzw. Statistikdatei ermöglicht worden sei. Zwar folge aus dem Recht auf ein faires Verfahren im Grundsatz der Anspruch des Betroffenen eines Bußgeldverfahrens, Kenntnis auch von solchen Inhalten zu erlangen, die - wie etwa die Case-List bzw. Statistikdatei - nicht zur Bußgeldakte genommen wurden, da hierdurch dem Gedanken der "Waffengleichheit" Rechnung getragen werde. Allerdings bestehe ein solcher Anspruch nicht unbegrenzt, da gerade im Bereich massenhaft vorkommender Ordnungswidrigkeiten eine sachgerechte Eingrenzung des Informationszugangs erforderlich sei. Das Einsichtsrecht bestehe nur für eine solche Information, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehe und eine erkennbare Relevanz für die Verteidigung aufweise. Ein Dokument, dem bei objektiver Betrachtung ganz offensichtlich keine Bedeutung für die Verteidigung zukomme, müsse daher nicht zur Verfügung gestellt werden, auch wenn der Betroffene dies anders beurteile. Die Case-List bzw. Statistikdatei gebe zwar Auskunft über die Anzahl der vom Messgerät in einem bestimmten Zeitraum insgesamt festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen und der erfassten Fahrzeuge, diese Informationen ließen aber ersichtlich keine Rückschlüsse auf die Messgenauigkeit bzw. Messrichtigkeit der (nicht annullierten) konkreten Einzelmessung zu. Selbst eine hohe Annullationsrate gebe keinen Hinweis auf fehlerhafte oder auffällige Messungen. Sie sei vielmehr gerade Ausdruck einer funktionierenden Qualitätsprüfung durch das Gerät selbst.
Einsicht in Reparatur- und Wartungsunterlagen muss aber gewährt werden
Die Verfassungsbeschwerde sei aber deswegen erfolgreich, weil dem Beschwerdeführer keine umfassende Auskunft zu den Reparatur- und Wartungsunterlagen des konkreten Messgerätes - auch über den Tag der Messung hinaus - erteilt worden sei. Anders als die Case-List bzw. Statistikdatei seien diese Informationen zur Aufdeckung einer Funktionsbeeinträchtigung des Messgerätes nicht schlechthin ungeeignet.
VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27.10.2022 - 5 B 57/21 -
Quelle: Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)
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