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[18.08.2020] Heimliches Abstreifen des Kondoms - Stealthing - ist als sexueller Übergriff strafbar

Heimliches Abstreifen des Kondoms beim Geschlechtsverkehr ist strafbar

Das Berliner Kammergericht hat die Verurteilung eines Mannes zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe wegen sogenannten "Stealthing" bestätigt. Danach ist das heimliche Abstreifen des Kondoms während des ursprünglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zumindest dann als sexueller Übergriff gemäß § 177 Absatz 1 StGB strafbar, wenn der Täter das Opfer nicht nur gegen dessen Willen ohne Kondom penetriert, sondern im weiteren Verlauf des ungeschützten Geschlechtsverkehrs in den Körper des Opfers ejakuliert.

Das Berliner Kammergericht bestätigte mit seinem Revisionsurteil die vorhergehenden Entscheidungen des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts Berlin. Der Angeklagte war zunächst vom Amtsgericht Tiergarten wegen sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Absatz 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Das Landgericht Berlin setzte die Strafe im Berufungsverfahren auf sechs Monate Freiheitsstrafe herunter, bestätigte aber die Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Urteil weitgehend. Das Kammergericht schloss sich der Argumentation der Vorinstanzen an.

Sex war einvernehmlich - aber nur mit Kondom

Täter und geschädigtes Opfer - ein Polizist und eine junge Polizeianwärterin - hatten sich auf der Online-Dating-Seite "Lovoo" kennengelernt und zu einem Treffen in der Wohnung des Täters verabredet. Dort kamen sie sich körperlich näher und hatten schließlich einvernehmlichen Sex miteinander. Vor dem Geschlechtsverkehr hatte die Polizeianwärterin dem Angeklagten mehrfach sehr deutlich gesagt, dass sie auf keinen Fall Geschlechtsverkehr ohne Kondom haben wolle. Schließlich kam es zum vaginalen Geschlechtsverkehr mit Kondom. Im Verlauf des Geschlechtsverkehrs zog der Angeklagte jedoch mehrfach seinen Penis aus der Vagina und entfernte bei einer dieser Gelegenheiten heimlich das Kondom. Danach drang er erneut in die Frau ein und vollzog den Geschlechtsverkehr ungeschützt ohne Kondom bis hin zum Samenerguss. Aufgrund des früheren wiederholten Insistierens der jungen Frau war ihm dabei bewusst, dass der ungeschützte Geschlechtsverkehr ohne Kondom sowie die Ejakulation in die Vagina gegen den Willen der Frau erfolgte.

Heimliches Abstreifen des Kondoms (Stealthing) gegen den Willen des Partners ist sexueller Übergriff

Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich bei dieser Art von Stealthing - dem Fortsetzen des ursprünglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs nach heimlichem Abstreifen des Kondoms und der Ejakulation in das Opfer, obwohl dieses nur mit Safer Sex unter Nutzung eines Kondoms einverstanden war - um einen sexuellen Übergriff gemäß § 177 Absatz 1 StGB. Die Tat wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft.

Sexuelle Selbstbestimmung ist strafrechtlich geschütztes Rechtsgut

Fraglich war, ob Stealthing in dieser Weise den Straftatbestand des sexuellen Übergriffs erfüllen kann. Denn mit dem penetrierenden Geschlechtsverkehr als solchem war das Opfer einverstanden. Dazu führt das Kammergericht aus, dass das von § 177 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung die Freiheit der Person, über Zeitpunkt, Art, Form und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden, umfasst. Der Rechtsgutinhaber ist nicht nur frei in seiner Entscheidung darüber, ob überhaupt Geschlechtsverkehr stattfinden soll, sondern auch darüber, unter welchen Voraussetzungen er mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist.

Kondomnutzung ist nicht nur Begleitumstand der Penetration

§ 177 Absatz 1 StGB schützt das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung bei allen Personen strafrechtlich umfassend gegen jede sexuelle Handlung, die gegen den Willen einer Person erfolgt. Dazu gehören auch Zeitpunkt, Art und Form der sexuellen Handlung.

Die Kondomnutzung ist beim ansonsten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr nicht nur ein Begleitumstand der Penetration - jedenfalls dann nicht, wenn das Tatopfer erklärt hat, in keinem Fall ungeschützten Geschlechtsverkehr ausüben zu wollen. Im vorliegenden Fall hat tedas Opfer gerade nicht erklärt, mit vaginalem Geschlechtsverkehr an sich einverstanden zu sein, sondern vaginalen Geschlechtsverkehr ohne Kondom unmissverständlich abgelehnt. Mit dieser Willensäußerung hatte die geschädigte Frau für ihre sexuelle Begegnung mit dem Angeklagten einem konkreten, inhaltlich klar definierten sexuellen Geschehen - nämlich dem ungeschützten vaginalen Geschlechtsverkehr - unbedingt widersprochen. Genau diese sexuelle Handlung widersprach dem Willen der Nebenklägerin.

Ungewollte Aufnahme von Ejakulat hat Tathandlung wesentlich geprägt

Auch habe, so das Kammergericht, der abredewidrig in ungeschützter Form ausgeführte Geschlechtsverkehr nicht allein in der weiteren Penetration bestanden, sondern habe der Angeklagte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zur Ejakulation in der Vagina der Geschädigten vollzogen. Dies habe die Tathandlung wesentlich geprägt. Daran, dass das Opfer gegen seinen Willen das Ejakulat des Angeklagten in den Körper aufnehmen musste, zeige sich, dass es sich beim Fehlen des Kondoms nicht nur um eine bloße Modalität der an sich einvernehmlichen Penetration handele. Denn die sexuelle Handlung des Beischlafs ist nicht notwendig mit einem Samenerguss im Körper des Geschädigten verbunden. Bei § 177 Absatz 1 StGB ist der Wille des Rechtsgutsträgers zu ermitteln. Der ungewollten Aufnahme des Ejakulats - zumal in der Vagina einer grundsätzlich gebärfähigen Frau - kommt dabei maßgebliche Bedeutung zu.



KG Berlin, Urteil vom 27.07.20204 Ss 58/20, 161 Ss 48/20 -

Quelle: Kammergericht Berlin, ra-online (vt/we)


Eine weitere Entscheidung zu diesem Thema:
  • Strafbarer sexueller Übergriff wegen absprachewidrigen vaginalen Samenergusses
    OLG Hamm, Urteil vom 01.03.2022
    [Aktenzeichen: 5 RVs 124/21]
Gleichlautende Entscheidung:
  • Stealthing: Heimliches Entfernen des Kondoms bei Geschlechtsverkehr als sexueller Übergriff strafbar
    Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19.03.2021
    [Aktenzeichen: 2 OLG 4 Ss 13/21]

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