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[31.10.2024] Sturz beim Tabletten-Holen während einer Arbeitspause: Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung greift nicht
Kein „überwiegend betriebliches Interesse“
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine Näherin, die eine Arbeitspause einlegt, um von ihr vergessene, regelmäßig eingenommene Medikamente aus ihrem Auto zu holen, auf dem Rückweg vom Parkplatz zu ihrer Arbeitsstätte nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht.
Die seinerzeit 60-jährige Klägerin trat an einem Tag im Juli 2020 kurz vor 6 Uhr morgens ihre Frühschicht in einer Näherei an. Zu ihrem Arbeitsplatz war sie mit ihrem Pkw gefahren und hatte diesen in der Nähe des Betriebs auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt. Gegen 9.30 Uhr bemerkte sie, dass sie die von ihr regelmäßig einzunehmenden Epilepsie-Tabletten in ihrem Pkw vergessen hatte. Da ihre Schicht erst gegen 11 Uhr enden sollte, ging sie zu ihrem Auto, um die Tabletten zu holen. Auf dem Rückweg zur Arbeit stürzte sie auf einem Fußweg und brach sich das rechte Handgelenk. Die Berufsgenossenschaft lehnte es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage wies das SG Neuruppin ab.
Einnahme vorrangig im privaten Interesse
Das LSG hat die Entscheidung des SG nunmehr bestätigt. Die Einnahme von Medikamenten gehöre nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten, sondern sei dem nicht versicherten, persönlichen Lebensbereich zuzuordnen. Hätte die Frau mit der Einnahme der Epilepsie-Tabletten bis zum Schichtende gewartet, wäre ihre Arbeitsfähigkeit nicht gefährdet gewesen. Dies habe der durch den Senat gehörte behandelnde Arzt so mitgeteilt. Bestehe ein bloß abstraktes Risiko, dass es ohne die regelmäßige Einnahme der Tabletten während der Arbeitszeit zu einem Epilepsie-Anfall komme, so liege die Einnahme vorrangig im privaten Interesse und damit im nicht versicherten Bereich.
Unerheblich sei hier, dass die Frau, bevor sie die Tabletten aus ihrem Auto geholt habe, die Erlaubnis ihrer Vorgesetzten eingeholt habe. Die Vorgesetzte habe nicht ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht ausgeübt, sondern der Frau lediglich gestattet, ihre Arbeit kurz zu unterbrechen, um einer privaten Besorgung nachzugehen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen.
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.09.2024 - L 21 U 40/21 -
Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, ra-online (pm/ab)
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